Filesharing: Rückkehr zu den Zivilprozessgrundsätzen (vgl. Amtsgericht Bielefeld, Urteil vom 06.03.2014, 42 C 368/13)

Anschlussinhaber eines Mehrpersonenhaushaltes muss nicht beweisen, wer die tatsächliche Urheberrechtsverletzung begangen hat; es genügt, wenn er einen Sachverhalt darlegt, aus dem sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichendes Geschehensablaufs  - als die seiner Alleintäterschaft – ergibt

Das Amtsgericht Bielefeld hatte im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob ein Anschlussinhaber für Urheberrechtsverletzungen auch dann haftet, wenn er darlegt, dass weitere Hausgenossen den Internetanschluss regelmäßig nutzen.

 

Eine Haftung aufgrund tatsächlicher Vermutung besteht, nach Ansicht des erkennenden Gerichts, nicht, sofern der Anschlussinhaber einen Sachverhalt darlegt, aus dem sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs – als die seiner Alleintäterschaft -  ergibt.

Nach Ansicht des Gerichts: „ …besagt eine tatsächliche Vermutung lediglich, dass auch Tatsachen, für die der sogenannte Beweis des  ersten Anscheins spricht, d.h. deren Vorliegen aus unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen sind, vorliegen. Gleichwohl ist von dem [Anspruchssteller] die entsprechende Tatsachenbehauptung, auf deren Vorliegen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen ist, vorzutragen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Sommer unseres Lebens-Entscheidung, I ZR 121/08) soll zwar eine tatsächliche Vermutung dafür bestehen, dass dann, wenn ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH NJW 2010,2061). Die Annahme einer derartigen tatsächlichen Vermutung begegnet in Haushalten, in denen mehrere Personen selbstständig und unabhängig Zugang zum Internet haben, bereits grundsätzliche Bedenken. Die Aufstellung einer tatsächlichen Vermutung setzt voraus, dass es einen empirisch gesicherten Erfahrungssatz aufgrund allgemeiner Lebensumstände dahingehend gibt, dass ein Anschlussinhaber seinen Internetzugang in erster Linie nutzt und über Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Ein derartiger Erfahrungssatz existiert nicht. Die alltägliche Erfahrung in einer Gesellschaft, in der das Internet einen immer größeren Anteil einnimmt und nicht mehr wegzudenken ist, belegt vielmehr das Gegenteil. Wenn sich der Internetanschluss in einem Mehrpersonenhaushalt befindet, entspricht es vielmehr üblicher Lebenserfahrung, dass jeder Mitbewohner das Internet selbstständig nutzen darf, ohne dass der Anschlussinhaber Art und Umfang der Nutzung bewusst kontrolliert. Der Anschlussinhaber genügt daher in diesen Fällen seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass seine Hausgenossen selbstständig auf den Internetanschluss zugreifen können, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als die seiner Alleintäterschaft ergibt (…) Weitergehende Angaben werden in einem Mehrpersonenhaushalt vom Anschlussinhaber im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht verlangt werden können, da der Anschlussinhaber ohnehin nur zu Tatsachen vortragen kann, die er üblicherweise kraft Sachnähe vortragen kann. Eigene Ermittlungen dahingehend, wer möglicherweise als Täter des behaupteten Urheberrechtsverstoßes in Betracht kommt, hat der Anschlussinhaber nicht durchzuführen(…) Sowohl bei Mehrpersonen- als auf einem 1- Personenhaushalt ist mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers keine Beweislastumkehr verbunden. Die sekundäre Darlegungslast umfasst nicht die Pflicht des Behauptenden diesen Sachverhalt gegebenenfalls auch zu beweisen. Ein der sekundären Darlegungslast genügender Vortrag hat vielmehr zur Folge, dass der grundsätzlich Beweisbelastete seine Behauptung beweisen muss. Hierin ist keine unzumutbare Belastung des Anspruchstellers zu sehen. Es gehört vielmehr zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Zivilprozesses, dass der Kläger die volle Darlegungs-und Beweislast für die anspruchsbegründende Voraussetzungen trägt. Abweichungen sind im Einzelfall veranlasst und dürfen nicht dazu führen, dass der Beklagte sich regelmäßig zu entlasten hat (…) Eine anders lautende Rechtsprechung führt quasi zu einer Gefährdungshaftung, indem dem Anschlussinhaber eine den Grundlagen des Zivilprozesses widersprechen praktisch nicht erfüllbar sekundäre Darlegungslast auferlegt wird (…)“ (AG Bielefeld, Urteil vom 6.3.2014, 42 C 368/13).

 

Fazit:

Sofern der Beschuldigte im Rahmen der sekundären Darlegungslast die Urheberrechtsverletzung substantiiert bestreitet und einen Sachverhalt darlegt, aus dem die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ersichtlich ist, obliegt es dem Anspruchssteller zu beweisen, dass der Beschuldigte die behauptete Rechtsverletzung tatsächlich begangen hat.